Titelbild von Törnbericht Transatlantik mit Parasailor!
Transatlantik mit Parasailor!
Kurzzusammenfassung

Im Dezember 2023 sind wir mit unserer Laggon 42 "Pirelli" von Teneriffa nonstop in die Karibik gesegelt. Landfall in Sint Maarten und durch den Anguilla Channel in die British Virgin Islands. 23,5 Tage und 3097 Seemeilen. Mit einer Crew von 4, einem Parasailor und einer ganzen Menge Fisch an der Angel hatten wir eine gute Zeit!

Törndaten
Revier: Atlantik, Transatlantik
Land: Britische Jungferninseln, Sint Maarten (NL), Spanien
Starthafen: San Miguel, Teneriffa
Zielhafen: Road Town, Britisch Virgin Islands
Route: Teneriffa - Sint Maarten - Britisch Virgin Islands
Seemeilen: 3097
Reisezeit: 01.12.2023 – 23.12.2023
Segelyacht: Katamaran, Lagoon 42, 42 Fuß
Törnbericht

Meine liebe Tante kennt mich und meine Vorliebe für Reisen, fremde Länder und Abenteuer, und seit einigen Jahren auch für das Segeln. Als ich an einem Septembernachmittag in Berlin mit ihr im Auto sitze, verschlägt der Anruf, den ich kriege, ihr, und auch mir trotzdem die Sprache. „Was machst du im Oktober?“ meldet sich mein Freund Wahid unverblümt am Telefon. „Nichts Außergewöhnliches - arbeiten und so eben. Wieso?“ beantworte ich nichtsahnend und wahrheitsgemäß seine Frage.

Wahid und ich lernten uns 2021 als Crewmitglieder auf einem Überführungstörn unter außergewöhnlichen Umständen intensiv kennen. Damals galt es eine gebrauchte, aber durch den neuen Eigner frisch erworbene Contest 43 aus der Nähe von Amsterdam, durch den Englischen Kanal, die Biskaya, die Atlantikküste runter, rund Gibraltar und über Mallorca in den Norden Italiens zu überführen. Außergewöhnlich war daran der Skipper und seine Schiffsführung - obwohl Wahid und ich Grünschnäbel waren, spürten wir durch Intuition und gesunden Menschenverstand dass hier gegen alle Prinzipien der guten Seemannschaft verstoßen wurde. Mehrmals auf diesem Trip konnten wir Schlimmeres nur knapp verhindern und lernten uns auf 2400 Seemeilen in vier Wochen gut kennen.

Einen SKS, einen SSS, den Yachtmaster Offshore und viele Tausend Seemeilen später ist Wahid nicht mehr nur Crewmitglied sondern selbst Skipper. „Könntest du dir vorstellen, mich auf einem Überführungstörn als Co-Skipper zu begleiten?“ Erkundigt er sich am Telefon bei mir. Ein werftneuer Lagoon 42 Katamaran müsse beim Hersteller in Les Sables D´Olonne an der französischen Atlantikküste abgeholt und in die Karibik, genauer gesagt auf die britischen Jungferninseln (British Virgin Islands, BVI) überführt werden. Da es sich nicht um einen gewöhnlichen Charter Törn, sondern um eine Atlantiküberquerung handelt, steht es dem Skipper frei sich für die Planung und Durchführung der Überführung Unterstützung in Form eines Co-Skippers an Bord zu holen.

Schon immer reizt mich am Segeln die Disziplin des Fahrtensegeln. Endlose Weite, Unabhängigkeit und das Schrumpfen der ganzen Welt auf nur genau das, was das Auge bis zum Horizont erblickt. Schon oft, und so auch kurz vor ebendiesem Anruf durch Wahid verbringe ich Stunden im Internet und schwelge in Angeboten und Gesuchen für Ozeanpassagen. Dass Wahid mich in Betracht zieht, ihn zu unterstützen und zu begleiten freut und ehrt mich ganz aufrichtig und ich versichere ihm prompt, dass ich vorbehaltlich der zu klärenden Urlaubstage und familiären Angelegenheiten dabei bin. „Was war denn das für ein Anruf?“ Fragt meine Tanten neben mir im Auto mit einem Mischung aus Neugier und Belustigung. „Ich wurde gefragt ob ich eine Yacht in die Karibik liefern will!“. Wie lange sowas dauern würde und ob man da oft in Häfen anlegt erkundigt sie sich. „Tja, das müssten so drei bis vier Wochen sein - und zwar nonstop!“ gebe ich bereitwillig Auskunft und höre mich dabei breit grinsen.

Das Glück ist mir treu und ich kann alle notwendigen Arrangements machen, auch dank der Unterstützung des Segelclubs Spandau, dessen Kameraden mir anbieten, sich um das Auskranen unseres Bootes zu kümmern. Nach einigem Hin und Her bei der Auslieferung der Yacht steht der Törnplan. Der dann mehrmals wieder über den Haufen geworfen wird, bis es Ende November, mit vier Wochen Verspätung, schließlich losgehen kann.

Die Route
Um den Atlantik auf der Barfußroute zu überqueren, bietet es sich an, so weit nach Süden zu segeln, bis man auf den Passatwindgürtel trifft, der einen mit einem stetigen und warmen Ostwind wie von selbst in die Karibik schiebt. Den Passatwindgürtel findet man, indem man nach Süden segelt, bis die Butter schmilzt und der Wind stetig aus Ost setzt. Da wir allerdings einen GPS-fähigen Kartenplotter an Bord haben, sparen wir die wertvolle (und im Laufe des Törns heiß umkämpfte) Butter auf und peilen den ersten Wegpunkt bei 20˚N 25˚W an. Diese etwas südlichere, bogenförmige Route ist zwar bis zu 200 Meilen länger als die direkte Route von den Kanaren in die Karibik, führt aber schneller in den Passatwindgürtel und damit zu besseren Winden. Zudem bietet die südlichere Route den Vorteil, nach ein paar Tagen den Hafen von Mindelo auf den kapverdischen Inseln anlaufen zu können, falls sich in den ersten Tagen des Törns größere Probleme ergeben sollten. Unser Plan jedoch ist es, die kapverdischen Inseln in einem respektvollen Abstand von etwa 250 Meilen zu passieren und keinen Zwischenstopp einzulegen, sofern wir nicht müssen.

Durch die jährliche Hurricane Saison in der Karibik liegt das früheste sichere Abfahrtsfenster in Europa etwa Ende September. Wer früher lossegelt riskiert, in die Ausläufer tropischer Wirbelstürme zu gelangen, oder in der Karibik sein Schiff beim Abwettern eines ausgewachsenen Hurricanes zu verlieren. Der Passat ist ein mit den Jahreszeiten variierender Wind, der durch die Lage des sogenannten Azorenhochs beeinflusst wird. Er schwankt zwischen dem 05. und 25. Breitengrad und weht von Ost nach West. Dank ihm gelangte Columbus nach Amerika und Wilfred Erdmann in die Karibik. Historisch gesehen weht der Passat in den Monaten Dezember und Januar am konstantesten. Somit haben wir mit einer Abfahrt Ende November ein ideales Klimafenster festgelegt und können uns nun mit der wetterabhängigen Routenplanung beschäftigen.

Vorbereitung, Eignung und Ausstattung
Um einen echten Blauwassertörn durchzuführen, müssen ausreichende Überlegungen zur Eignung, Ausstattung und dem Zustand der Yacht und ihrer Sicherheitsausrüstung, der Navigation und Proviantierung und der Erfahrung der Crew angestellt werden. Wen die technischen Einzelheiten nicht so genau interessieren, ermuntere ich direkt zum Punkt „Es wird ernst!“ zu springen!

Mit der Kategorie A („Ocean“) nach der europäischen Klassifizierung für Sportboote ist eine Lagoon 42 für den uneingeschränkten Einsatz im Hochseebereich vorgesehen und entsprechend zertifiziert worden. Sie ist also grundsätzlich für eine Atlantiküberquerung geeignet. In vier Doppelkojen mit jeweils eigenen Bädern haben insgesamt acht Personen Platz auf dem Schiff. Wie in Katamaranen üblich, gibt es in der Brücke eine große Küche, mit geräumigem Salon und Außenbereich.

Viele Ausstattungsoptionen sind für einen Blauwassertörn wichtiger als für den normalen Charterbetrieb. Mit der Pirelli wurden keine Wünsche offen gelassen, sie besitzt zwei 57kw Yanmar Diesel Motoren und bunkert 1000L Diesel in mehreren Tanks. Beide Motoren, und auch ein dieselbetriebener Generator versorgen 560 Ah Verbraucherbatterien, die tagsüber auch durch auf dem Dach montierte Solarpaneele gespeist werden. Die Stromversorgung ist insbesondere für den Autopiloten wichtig, der einen wesentlichen Komfortfaktor darstellt. Da sich die Frischwasserkapazität auf nur 300L beläuft ist eine Meerwasserentsalzungsanlage verbaut, die entweder mit 12V oder 230V betrieben werden kann und den Tank mit 60L/h wieder auffüllt. Für unseren Törn weniger wichtig sind die verbauten Klimaanlagen und Heizungen.

Mit einer für Katamarane typischen Roll-Selbstwendefock und einem durchgelatteten Großsegel in der Lazybag ist die Segelgarderobe eher sparsam, aber normal. Durch die bei Katamaranen weit nach hinten gezogenen Backstage lässt sich der Großbaum nicht annähernd so weit ausbauen wie auf den meisten anderen Booten, sodass eine Lagoon nur schlecht vor dem Wind segeln kann.

Sicherheitsausrüstung
Die vorgeschriebene Sicherheitsausstattung setzt sich aus einer Rettungsinsel, Schwimmwesten mit Lifebelts und Life Lines, den vorgeschriebenen Seenotsignalmitteln und einem DSC-fähigen Funkgerät, Feuerlöschern, Feuermeldern, Gasmeldern, Wantenschneidern, Notruderpinnen und Lenzpumpen zusammen. Zusätzlich wurden für den Törn ein AIS-Transceiver, ein DSC-Handfunkgerät mit eigener MMSI, ein Iridium Satellitentelefon, umfangreiche Erste Hilfe Ausstattung von Trans Ocean e.V. und weitere Kleinigkeiten wie Druckverbände, Spritzen gegen Zahnschmerzen besorgt. 

Navigation
Bei der Navigation verlassen wir uns zum größten Teil auf den verbauten Axiom Plotter von Raymarine. Auch Windex und Autopilot sind von Raymarine und alle Systeme ineinander integriert. Als Backup werden auf zwei verschiedenen Tablets die Garmin Navionics Apps eingesetzt. Natürlich sind die Seekarten für alle geplanten Seegebiete auch in Papierform an Bord. Das Iridium Go! Satellitentelefon soll uns täglich mit aktuellen Seewetterberichten versorgen. Der AIS-Transceiver soll uns und andere Verkehrsteilnehmer rechtzeitig aufeinander aufmerksam machen und zu nahen Begegnungen vorbeugen. Ein Sextant aus der DDR bietet die letzte Rückfallmöglichkeit, falls alle GPS-Antennen versagen. Wichtig für den Sextanten sind natürlich die umfangreiche Dokumentation zur Bedienung und vor allem die notwendigen Veröffentlichungen auf dem aktuellen Stand (z.B. Nautisches Jahrbuch 2023), ohne die eine Standortbestimmung nicht möglich ist.

Es wird ernst!
Etwa einen Tag vor der geplanten Ankunft der Pirelli in Teneriffa lande ich nach einem fünfstündigen Flug aus Berlin pünktlich in Teneriffa Süd (TFS). Teneriffa ist eine karge Insel, bestehend aus Kakteen, niedrigem Gestrüpp und rötlich schwarzem, porösen Vulkangestein, das die Küsten und Strände schwarz erscheinen lässt. Denkbar deplatziert sieht der intensiv bewässerte und infolgedessen knallgrüne, an die Marina angeschlossene Golfplatz aus. Wie vereinbart erreicht die Pirelli die Marina am Folgetag und der Crewwechsel kann losgehen.

Von der Charterbasis wird uns außerdem der Parasailor der Marke Oxley zur Verfügung gestellt. Ein Parasailor ist ein Ballonartiges Vorwindsegel, das einem Spinnaker mit einem „Fenster“, in dem ein gleitschirmartiger Kite steigt, ähnelt. Das Fenster ermöglicht es, Druck abzulassen und das Schiff nicht nur voran zu treiben, sondern dabei auch etwas aus dem Wasser zu heben. So kann ein Parasailor bei stärkeren Winden, ohne Spinnakerbaum und bei flexiblen scheinbaren Windwinkeln von 180 bis etwa 90 Grad gesegelt werden. Auch wenn er bei „echten“ Regatta- und Spinnakerseglern bisweilen verpönt zu sein scheint, erfreut er sich unter Fahrten- und vor allem Passatwindseglern großer Beliebtheit.

Geliefert wird uns ein großer Karton. Darin befinden sich zwei Schoten, zwei Niederholer, drei Soft-Schäkel, das Segel und der Bergeschlauch. Wir verbringen den nächsten Tag damit, die richtigen Blöcke und Befestigungspunkte zu improvisieren, ein neues Fall durch den Mast zu ziehen, Barberholer zu besorgen und im Geiste die Leinenführung durchzugehen, bis uns alles passend vorkommt.

Verproviantierung
Im Laufe des Tages finden sich unsere Mitsegler, die beiden Österreicher Konstantin und Daniel ein. Als Co-Skipper kümmere ich mich um die Planung der Verproviantierung und die Rezeptsammlung. In Excel habe ich dafür ein Hilfsmittel gebaut, das alle Rezepte für den jeweiligen Tag erhält und daraus die richtigen Mengen für unsere Einkaufsliste generiert. Ich plane mit einer Reisezeit von 24 Tagen und ein paar weiteren Tagen Notrationen. Jeder Mitsegler wird gebeten, sich einige Rezepte auszusuchen und die benötigten Zutaten und Mengen anzumelden. Auf der Einkaufsliste stehen am Ende 173 verschiedene Zutaten, die wir in mehreren Schüben aus unterschiedlichen Supermärkten besorgen. Darunter befinden sich 15kg Kartoffeln, jeweils 100 Äpfel und Orangen, 7kg Müsli und 9kg Mehl. Da wir uns nicht von der Meerwasserentsalzungsanlage abhängig machen wollen, nehmen wir zusätzlich 460L Trinkwasser in 8L-Kanistern mit.

Über und über mit Lebensmitteln bepackt stellen wir im Salon der Pirelli verdutzt fest, dass sie so gut wie gar keine Schapps und Staufächer besitzt. Wir zählen zwar ingesamt vier Kühlschränke, aber nur zwei kleine Schapps im Boden. Notgedrungen muss jeder von uns die Schublade unter seinem Bett opfern und das allermeiste wird auf den Fensterbänken und in Kühlschränken eingelagert. Frische und lagerfähige Produkte werden an Deck in Netzen oder luftigen Kisten verstaut - auch hierbei sollte man vorbereitet vorgehen. Tomaten beispielsweise sondern bei der Reifung Ethylen ab, was in der Nähe gelagerte Früchte wie beispielsweise Bananen übermäßig schnell altern lässt.

Schon mein ganzes Leben angle ich mit Leidenschaft, und vor allem in fernen Ländern und Gewässern im Urlaub. So war für mich von vornherein klar, dass ich eine kleine Angelausrüstung einpacken werde. Tatsächlich bin ich aber meistens nur Angler - nicht Fischer. Denn Fische sind eben jenes Element, welches trotz aller meiner Bemühungen allzuoft kein Bestandteil meiner Angelaktivitäten ist. Mit anderen Worten: Auf umfangreiche Erfahrung aufbauend habe ich die Proviantliste in der Annahme geschrieben, mal wieder keinen einzigen Fisch zu fangen. In einem Angelladen im Nachbardorf erwerbe ich zu günstigen Konditionen eine gradezu lächerlich dicke Angelleine ohne Rolle und Rute, und einige Köder die in etwa die Größe der sonst von mir erbeuteten Fische haben. Die Größe des Hakens lässt eher auf ein Hilfsmittel zur Personenbergung als auf eine Angel schließen.

Leinen los
Nach einigen Tagen der Vorbereitung und besonders ungünstigem Südwestwind steht für uns fest, dass wir am 01.12.2023 gegen Mittag auslaufen werden. Nach der Sicherheitsunterweisung und einem letzten Füllen aller Tanks geht es los. Sobald wir die Hafenmole umrunden, kämpft unruhiger Schwell auf unserem Weg gen Süden gegen uns an. Die Pirelli stampft und schnell wird mir, und auch einigen anderen schlecht. So verstreichen die letzten Stunden mit Handyempfang. Ein paar letzte Whatsappnachrichten an die Liebsten, noch einmal E-Mails checken. Und dann ist der Empfang weg. Ein merkwürdiges Gefühl, schließlich bin ich doch als Teil einer Generation aufgewachsen, in der Internet so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen ist. Und auch wenn man es bisweilen gewöhnt ist, den Flugmodus einzuschalten, so hatte ich doch in meinem gesamten bisherigen Leben noch nie für einen so langen Zeitraum keinen Internetzugang. Neugier auf mich selbst und die nächsten Wochen steigen bei diesen Gedanken in mir auf. Letztlich denke ich doch, dass der kommende Digital Detox keine schlechte Sache sein sollte.

Segel setzen
Wir lernen das Boot und seine Segeleigenschaften kennen und machen uns mit dem Setzen und Bergen aller Segel vertraut. Wir testen die Leinenführung für den Parasailor und besprechen alle Maneuver genau, bevor wir den Parasailor zum ersten Mal ins Masttopp ziehen und den Bergeschlauch hochziehen. Beim ersten Versuch steht der Parasailor prall vor dem Schiff und zieht und zuverlässig mit 50% der Windgeschwindigkeit durch das Wasser, und zwar auch bei nur 10kn Wind. Er wird die nächsten Woche eine wirklich willkommene Ergänzung, die uns leise uns komfortabel durch den Ozean zieht, nicht killt und nicht schlägt, keine Patenthalsen macht und nicht einmal den Blick auf den Sonnenuntergang versperrt.

Gemütliches Bordleben und atemberaubende Natur
Schnell pendelt sich das Leben an Bord ein. Die Seekrankheit verschwindet bei allen noch am ersten Tag und wir genießen die Ruhe und das Meer. In erster Linie besteht jeder Tag aus den gleichen Komponenten: Nachtwache, Tagwache, Kochen, Essen und Abwaschen. Die Zeiten dazwischen werden bei jedem auf eine andere Weise gefüllt. Lesen, Hörbücher oder Musik hören, für eine Prüfung lernen oder einfach nur Sonnen. Es wird Backgammon gespielt und über Politik, die Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland, Gott und die Welt diskutiert. Die Stimmung ist gut und die Crew harmoniert ausgezeichnet. Bis zum Ende kommt es zu keinem einzigen Streit.

Überraschend viel Abwechslung bietet das Meer und die Natur. Wir sichten regelmäßig Delfine, die mal mehr oder weniger lang an den Bügen der Pirelli bleiben und uns ein Stück begleiten. Unterschiedlichste Vogelarten wie Sturmvögel und Möwen begegnen uns selbst mitten auf dem Ozean. Zweimal sichten wir Wale. Auch sonst quillt das Meer auf der gesamten Strecke vor Leben nahezu über. Es sind Mahi Mahis zu beobachten, riesige Schwärme Tintenfische bei Nacht, und bei Tag fliegen abertausende fliegende Fische durch die Lüfte, die wir ab der ersten Sichtung an Tag fünf täglich sehen. Nach der halben Strecke sichten wir vermehrt Sargassum Seegras und ab und zu auch darin lebende Fische. In mondlosen Nächten glitzert leuchtendes Plankton in der Bugwelle und ab und zu schwimmt eine leuchtende Qualle vorbei. Wer bei der Nachtwache in den Himmel schaut wird jede Nacht, ohne Ausnahme, mit Sternschnuppen belohnt.

Eine noch spannendere Abwechslung ist für mich das Angeln. Ab dem ersten Tag sind die Leinen im Wasser, doch Erfolg haben wir erst ein paar Tage später, nach dem entscheidenden Tipp eines überholenden Katamarans, lila Köder zu verwenden. Kurz danach ist der erste, wunderbar gelb-blau-grün schimmernde Mahi Mahi an Bord. Im Laufe der Reise fangen wir so viel Fisch, dass wir jeden Tag davon essen können und die Angeln den größten Teil der Reise aus dem Wasser nehmen müssen, um nicht mehr zu fangen als wir essen können. Das Highlight sind hier schließlich zwei Gelbflossenthunfische, die jeweils knapp 15kg wiegen und köstliches, rotes Fleisch in Sushi-Qualität liefern.
Spektakulär sind die täglichen Sonnenuntergänge, und je nachdem, welche Wache man erwischt, auch die Sonnenaufgänge. Das freie Sichtfeld um das ganze Schiff herum, das Fehlen anderer Farben und die fehlende Lichtverschmutzung lassen die Farben des Himmels besonders intensiv wirken. Der Himmel spiegelt sich im Wasser und färbt die Wolken, sodass die Welt gänzlich in die jeweilige Farbe des Tages getaucht wird.
Leer ist der atlantische Ozean auf jeden Fall nicht. In den ersten Tagen werden wir von einigen anderen Ozeanüberqeurern begleitet und tauschen uns immer wieder über Funk aus. Hierbei wird reger Gebrauch der DSC-Technik gemacht. Zwar werden die Begegnungen weniger, aber doch ist die längste Zeit ohne Sichtung eines anderen Schiffes nur fünf Tage. Container Schiffe, Kreuzfahrer, IMOCA-Rennboote und Einhandsegler in winzigen Booten sorgen für interessante Begegnungen.

Landfall in der Karibik nach 22 Tagen
Und dann, eines Tages, genau genommen nach genau 22 Tagen, ist Land in Sicht. Schon in der Nacht ergibt das Kartenstudium, dass wir die Karibikinsel Barbuda in der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember zwar genau außerhalb der Sichtweite passieren, aber wahrscheinlich doch nah genug, um die Lichter der Insel am Nachthimmel zu sehen. Und so kommt es, in der Nachtwache sichte ich die ersten Lichtscheine, die die für Inseln typische, mehr oder weniger zuverlässig über Landmassen hängenden Landwolken anstrahlen. Kurz danach gesellen sich die Lichter von St. Nevis und Kitts hinzu, und am frühen Morgen heißt es schließlich „Landfall!“ Als die Silhouette der niederländisch-französischen Insel St. Martin in Sicht kommt. Die Steilen grünen Hänge heben sich immer deutlicher vom Horizont ab, und kurz danach springt zum ersten Mal seit den Kanaren der Tiefenmesser an. Um eine Ansteuerung des Hafens von Road Town in den Jungferninseln im Dunkel der Nacht zu vermeiden, entscheiden wir uns, ein wenig Zeit mit der Erkundung der St. Martin vorgelagerten Insel Île Tintamare zu verbringen und gehen an eine Mooring. Ein Sprung ins Wasser, Schwimmen an den Strand und ein richtiges Gefühl von Ankommen erfüllt uns. Wir sind glücklich über die reibungslose Fahrt und stolz auf die vollbrachte Passage.

Nach der Erfrischung geht es an die letzte Etappe durch den Anguilla Channel zwischen St. Martin und Anguilla, eine letzte Nachtwache, nun in der karibischen See und nicht mehr auf dem Atlantik und schließlich die Ansteuerung der Insel Tortola beim ersten Tageslicht. Um 06:40 machen wir an einer Moorig fest und haben unsere Reise damit offiziell beendet. Nicht nur wir, sondern auch die See ist in festlicher Stimmung, denn wir werden mit dem bisher dramatischsten Sonnenaufgang belohnt. Nach 23 Tagen, 5 Stunden und 9 Minuten und 3097 Seemeilen ist die Reise beendet. Job done!

Und würde ich es wieder machen?
Entgegen der naheliegenden Annahme ist auf unserem Törn keine Langeweile aufgekommen. Viele der mitgebrachten Bücher wurden nicht einmal gelesen, und das, obwohl es kein Internet gab. Um im Moment zu leben, und sich vollkommen zu entspannen, einfach einmal abzuschalten, eignet sich ein Hochseetörn hervorragend. Man entspannt ohne schlechtes Gewissen - schließlich hat man mehr als genug Tage vor sich und nicht viel Anderes zu tun. Für einen umtriebigen Menschen wie mich genau das Richtige, um ‚Urlaubsstress’ zu vermeiden. Aber kommt dann nicht bald Langeweile auf?
Hochseesegeln, ist eine Kunst, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist fordert, ist für mich persönlich die absolute Königsdisziplin des Segelns. Es ist ein Tanz auf den Wellen, eine endlose Reise der Selbsterkenntnis und des Lernens. Jede Welle, die gegen den Rumpf des Schiffes schlägt, jedes Lüftchen, das die Segel bläht, lehrt uns etwas Neues über die Natur, über das Leben und über uns selbst.
Das Meer ist ein Lehrer von unermesslicher Weisheit und Vielfalt. In seiner unendlichen Weite findet, wer interessiert ist und sucht, Lektionen in Geografie und Meteorologie, von den Geheimnissen der Meeresbiologie und erfährt die Grundprinzipien der Physik, die unser Schiff vorantreiben. Doch die Lehren des Meeres gehen weit über das Akademische hinaus. Es lehrt uns Geduld, wenn der Wind nachlässt, Entschlossenheit, wenn die Wellen uns herausfordern, und Demut, wenn wir die gewaltige Kraft der Natur erleben und tausende Kilometer vom Land entfernt sind.
Auf hoher See werden wir zu Schülern des Lebens. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen, jeder Schaden, jedes Unwetter eine neue Prüfung unseres Mutes und unserer Fähigkeiten. Wir lernen, mit wenig auszukommen und dennoch das Maximum zu erreichen. Wir lernen, in der Stille der endlosen Wasserflächen unsere innere Stimme zu hören und in der Stürme Heulen unsere eigene Stärke zu finden.
Das Hochseesegeln ist eine lebenslange Schule, in der wir nicht nur Navigatoren unserer Schiffe, sondern auch unseres Lebens werden. Es ist ein stetiger Prozess des Wachsens, des Entdeckens und des Überwindens. In dieser Königsdisziplin finde ich nicht nur Abenteuer und Herausforderungen, sondern auch eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration und der persönlichen Entwicklung. Für mich ist daher klar: I’ll do it again!

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